Eine Ausstellung, die Bildungsbiografien aus soziologischer Perspektive beleuchtet.

Wie wird man Lehrer*in? Vielleicht aus Berufung, aus dem Wunsch, Wissen zu vermitteln, oder auf Grundlage solider Kenntnisse – gewiss. Doch es bleibt nie bei diesen Gründen allein. Jede angehende Lehrperson bringt eine über Jahre gewachsene Biografie mit in den Beruf: geprägt von sozialen Hintergründen, Brüchen, unerwarteten Wendungen, Hindernissen, aber auch von Unterstützungen – manchmal bleiben diese Wendungen im Hintergrund, manchmal sind sie von entscheidender Bedeutung.

Genau diese Vielfalt möchte die Ausstellung «Wer ist meine Lehrer*in? Auf der Spur pluraler Bildungswege» sichtbar machen. Anhand soziologischer Selbstanalysen, die von Studierenden im Rahmen ihrer Ausbildung verfasst wurden, eröffnet sie einen sensiblen und kritischen Blick auf die – vielfältigen – Wege in den Lehrberuf.

Bildungsbiografien im Lichte der kritischen Soziologie

Die in der Ausstellung gezeigten  Arbeiten entstanden im Rahmen eines reflexiven Prozesses während des akademischen Jahres, im Seminar «Kritische Pädagogik der Vielfalt». Im Frühjahrssemester 2025 waren die Studierenden im zweiten Jahr eingeladen, mithilfe der im Seminar behandelten soziologischen Werkzeuge die (Re-)Produktion sozialer und schulischer Ungleichheiten zu analysieren. Anschliessend haben sie diesen analytischen Blick auf ihre eigene Bildungs- und Ausbildungsbiografie geworfen.

Konzepte wie jene von Pierre Bourdieu und Jean-Claude Passeron in La Reproduction. Éléments pour une théorie du système d’enseignement (1970) – insbesondere Habitus, Kapitalformen (kulturelles, ökonomisches, soziales) und soziale Reproduktion – ermöglichten es, aufzuzeigen, wie schulische Strukturen bestehende Ungleichheiten fortschreiben.

Andere Texte beziehen sich auf die Arbeiten von Erving Goffman, insbesondere auf seine Überlegungen zur Stigmatisierung (1963) sowie zu Geschlechternormen in Gender Advertisements (1977). Diese Konzepte machen deutlich, welche Rolle implizite soziale Normen im schulischen und beruflichen Alltag spielen.

Die vorgestellten Analysen sind keine blossen Lebensgeschichten. Sie verbinden persönliche Erfahrung mit kritischer Lektüre und zeigen, wie Bildungswege als Abfolge soziologischer Brüche oder Kontinuitäten verstanden werden können: Studienwahl beeinflusst oder verhindert durch familiäre Kapitalien, Internalisierung von schulischer Legitimität oder Illegitimität, Auswirkungen von Geschlecht oder sozialer Herkunft auf das Engagement im Lehrberuf.

Eine intersektionale Perspektive

Die Ausstellung verfolgt ein doppeltes Ziel: die Vielfalt der Wege in den Lehrberuf sichtbar zu machen – auch die untypischen – und die Bildungsgemeinschaft für die wachsende Diversität der heutigen Studierenden zu sensibilisieren. Dieser Blick steht in starkem Kontrast zum historischen Modell der Lehrerseminare, in denen Lehrer*innen sozial und kulturell weitgehend homogen waren und den Auftrag hatten, eine dominante schulische Norm zu vermitteln. Heute sind die Wege vielfältiger, die Erfahrungen heterogener – und gerade diese Vielfalt wird zu einer Ressource für eine inklusivere Schule.

Durch eine intersektionale Herangehensweise zeigen die ausgestellten Arbeiten, wie sich soziale Identitäten (in Bezug auf Klasse, Geschlecht, Herkunft, Migrationsstatus …) überlagern und Bildungswege prägen. Einige Studierende thematisieren dabei die mal zentrale, mal marginale Rolle, die ihre Bezugspersonen im Bildungsweg gespielt haben, die impliziten Erwartungen oder das Schweigen über Schule im Elternhaus sowie Strategien der Anpassung oder Selbsteliminierung angesichts dominanter schulischer Normen. Andere erzählen, wie „Schlüssellehrer*innen“, unerwartete Ressourcen oder ein veränderter Blick auf sich selbst als Wegbereiter*in gewirkt haben.

Lehrpersonen ausbilden heisst auch, Selbstverständlichkeiten zu dekonstruieren

Diese Selbstanalysen sollen nicht unbedingt „aussergewöhnliche Fälle“ hervorheben, sondern deutlich machen, dass jeder Bildungsweg zutiefst sozial geprägt, situiert und von oft unsichtbaren Machtverhältnissen durchzogen ist.  In einer angeblich neutralen und auf individuelle Leistung ausgerichteten Bildungswelt ist es entscheidend, daran zu erinnern, dass Chancengleichheit unweigerlich die Anerkennung ungleicher Ausgangsbedingungen voraussetzt.

In einer angeblich neutralen und auf individuelle Leistung ausgerichteten Bildungswelt ist es entscheidend, daran zu erinnern, dass Chancengleichheit unweigerlich die Anerkennung ungleicher Ausgangsbedingungen voraussetzt.

Indem diese reflektierten und analysierten Geschichten gezeigt werden, eröffnet die Lehrer*innenbildung die Möglichkeit, eine gerechtere Pädagogik zu denken. Die Mechanismen von Reproduktion, Stigmatisierung und geschlechtsspezifischen Normen zu verstehen, heisst auch, zu lernen, sie nicht unreflektiert weiterzugeben.

Letztlich ist «Wer ist meine Lehrer*in?» weniger eine Frage als vielmehr ein Ausgangspunkt, um Bildungneu zu denken. Mehr als eine theoretische Übung lädt sie jede*n ein, sich im Bildungssystem zu verorten, sich eigener Voreingenommenheit bewusst zu werden und zu reflektieren, wie man später als Lehrperson Ungleichheiten aktiv begegnen kann.

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"Trotz der in der Schweiz verankerten Religionsfreiheit wurden sie oft abgelehnt, nur wegen eines Stücks Stoff."

"Ma mère valorisait la réussite minimale ; mon père exigeait beaucoup sans valoriser réellement l'effort ou le succès. Cette ambiguïté a pu renforcer chez moi une forme de discrétion vis-à-vis de mes ambitions ou de mes difficultés."

“Par conséquent, je me trouvais souvent comme un acteur dans un travail de présentation de soi, avec la volonté de cacher mes stigmates pour être accepté et parvenir à un sentiment d'intégration personnel.”

"Toutefois, l’investissement parental dans mon parcours ne setraduisait pas toujours par une aide formelle, mais par une vigilance constante : « Tu as quelquechose à faire ? Qu’astu appris aujourd’hui ? "